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Donnerstag, 27. August 2015

Wendenstöcke - Zambo (6b+, 9 SL, Erstbegehung)

Eine Linie an den Wendenstöcken zu erschliessen, sozusagen am heiligen Gral des alpinen Sportkletterns in der Schweiz, davon hatte ich schon längere Zeit geträumt! Nachdem die Kletterei ebendort aber vor allem mit den Attributen steil, schwierig und lang zu beschreiben ist und viele der zugänglichen Linien bereits eingerichtet sind, musste die Sache eine gewisse Zeit reifen. Doch nach insgesamt 28 gekletterten Linien am Massiv und der Begehung von Tsunami war der Entscheid gefallen. Links vom einfachsten Wenden-Klassiker Spasspartout war Platz für eine weitere Linie von ähnlichem Charakter: zugängliche Schwierigkeit, wenig ernsthaftes Ambiente in schöner Hochgebirgslandschaft und schöne Kletterei in rauem Fels mit hervorragender Reibung wird einem geboten - das müsste den Aufwand wert sein!

Ambiente an den Wendenstöcken, hier am Einstieg von Zambo. Die Steinböcke sind nie weit weg...
Hier wollte ich es also probieren und so zog ich bereits wenige Tage später in Begleitung von Sepp mit schwerem Gepäck zum Vorbau am Reissend Nollen hinauf. Wo es losgehen sollte war bald klar und auch die angetroffenen Schwierigkeiten waren wie erwartet im unteren sechsten Franzosengrad anzusiedeln. So ergab sich schon am ersten Bohrtag ein schöner Fortschritt und 3.5 Seillängen waren bereits eingerichtet. Die nächste Gelegenheit ergab sich am Tag, als ich mit Dani den Batman beging. Die Bohrausrüstung kam mit dem Argument ins Gepäck, dass bei einem Scheitern eine sinnvolle Alternative bereitstünde und man den Weg nicht vergebens gemacht hätte. Da die Begehung erfolgreich war, mussten wir nicht zur Alternative greifen. Doch nachdem noch etwas Zeit und Tageslicht übrig blieb, konnte ich den wesentlichen Teil von L7 einbohren, während Dani seinen Vesper beim Sichern in der Abendsonne genoss.

Obwohl top motiviert für die Fertigstellung der Route, ergab sich mit unserem herbstlichen Kalymnos-Aufenthalt im 2014 keine Gelegenheit mehr für die Fertigstellung der Linie. Ein zu frühes Angreifen im Frühjahr macht an den Wenden meist wenig Sinn, und mit den Sommerferien wurde es schliesslich Ende August 2015, bis der nächste Angriff erfolgen konnte. Ich konnte Kathrin fürs Mitkommen gewinnen. Die Taktik bestand darin, an einem langen Tag die noch ausstehenden Seillängen einzurichten und auch gleich die ganze Route rotpunkt zu klettern. Nachdem die ganz schweren Passagen in Zambo ausbleiben und wir mit Effizienz und Routine unterwegs waren, ging dieser Plan schliesslich auf. Bereits um 15.30 Uhr waren wir beide am Top angelangt und konnten uns ins Routenbuch am Ende von Spasspartout eintragen - natürlich von Freude und Stolz über die gelungene Wenden-Erstbegehung erfüllt.

...selbst dann, wenn man schon hoch oben in der Route ist. Aber sie können's ohne Seil!
Der Zustieg zum Vorbau am Reissend Nollen beginnt wie üblich bei der Wendenalp. Man marschiert mitten durch die Hütten hindurch, um nach einem kurzen, weglosen Stück den bereits vom Parkplatz sichtbaren Pfad zu gewinnen, welcher dem Hang entlang ins Tal hineinführt. Man folgt diesem ca. 25 Minuten lang bis man senkrecht unter den Wänden des Reissend Nollen steht. Hier darf man den Pfad nicht verpassen, der zu den Einstiegen hinaufführt. Dessen Beginn ist unmittelbar vor einer tiefen Bachrinne, welche bis weit in den Sommer hinein mit Schnee gefüllt ist. Meist befindet sich auch ein Steinmann am Beginn des Pfads. Hat man den Beginn gefunden, so folgt man dem Weglein ohne Schwierigkeiten bis unters Biwak hinauf, welches sich am Fuss der Vorbau-Felsen befindet. Die Felsplatten, die von dort bis zum eigentlichen Einstieg hinauf noch warten, sehen von weiten etwas abschreckend aus. Nachdem sie jedoch sehr schöne Terrassen aufweisen, ist eine Begehung dann dennoch völlig problemlos. Diagonal ansteigend erreicht man das breite Band am Wandfuss. Diesem folgt man noch etwas nach links, kommt am markierten Einstieg der Spasspartout vorbei, von wo es noch 15m bis zum Einstieg von Zambo sind. Eine Schlinge und eine Filzstift-Aufschrift markieren den Start, von der Wendenalp sind ca. 60 Minuten für die 550hm Zustieg zu rechnen.

L1, 35m, 5c: Gemütlicher Auftakt in geneigtem Fels mit plattiger Kletterei, ideal zum Aufwärmen. Dort wo es etwas steiler und kniffliger wird, helfen ein paar ideale Löcher über den Aufschwung hinweg.

Gemütliche Kletterei, ideal zum Aufwärmen, in L1 (5c).
L2, 35m, 6a: Nach noch nicht allzu schwerem Auftakt wartet bald Wenden-Kletterei at its best. Wasserrillige Platten mit Löchern und Leisten, eine Querung nach rechts und wieder nach links zurück an einer Sanduhr vorbei zu einem griffigen Finale mit wasserrilligen Strukturen.

Schöner Fels und genussreiche Waserrillen am Ende von L2 (6a).
L3, 35m, 6b: Die Steilzone nach dem Stand wird dank griffigen Leisten ohne allzu grosse Schwierigkeiten überwunden. Im Mittelteil wartet eher steilplattige Kletterei mit stehtechnischen Herausforderungen. Am Ende folgt nach einer weiteren, griffigen Steilzone noch die Crux mit einem kniffligen Aufsteher auf die Platte danach - falls nötig mit 1 p.a. zu entschärfen.

Kathrin gerade in der kniffligen Crux mit einem Mantle auf die Steilplatte am Ende von L3 (6b)
L4, 30m, 6a+: Super Steilplatten-Kletterei an schönen Leisten und ein paar Tropfloch-Griffen im ersten Teil der Länge. Nach ein paar guten Henkeln geht's links hinaus um die Ecke auf ein Band, und über eine kurze Verschneidungsstelle zum nächsten Stand.

Yours truly at work in L4 (6a+). Dank den für mich moderaten Schwierigkeiten war auch das Einbohren im Vorstieg Genuss!
L5, 30m, 6b+: Prima Plattenkletterei in rauhem Fels führt zu einem ersten Wändchen. Da hat es ein paar gute Griffe, kein Problem. Der nächste Überhang ist dann schon kniffliger. Oberhalb warten vorerst nur zwei Sloper und die Füsse über die Dachlippe hochzubringen ist nicht so einfach - notfalls hilft der Griff zum BH. Danach griffig hinauf und schliesslich nach links zum Stand - die ebenfalls sichtbare Kette von Spasspartout rechts oben wäre dann die falsche Adresse.

In einer super Position klettert man die bouldrige Crux von L5 (6b+) am hellgrauen Riffelfels.
L6, 50m, 5a: Nun befindet man sich an der Stelle, wo man beim Zustieg zu den oberen Wänden mit Routen wie Tsunami, Caminando und Millenium vorbeikommt. Da geht man dieses Teilstück seilfrei und bedient sich an einer Stelle einem Fixseil. Ich habe schliesslich entschieden, diesen Abschnitt im schönen Wasserrillen-Fels linkerhand vom Fixseil einzurichten. Davor und danach geht's etwas übers gut begehbare Gras. Achtung, den Nachsteiger-BH nach dem Felsriegel am Ende der Schwierigkeiten vor der Rechtsquerung unbedingt einhängen!

Kurz etwas gut begehbares Gras, aber auch schöner Fels in L6 (5a) - tut der Route keinen Abbruch.
L7, 30m, 6b: Geniale Seillängen an seichten Wasserrillen in Premium-Fels. Von unten sieht's nicht so schwer aus, einmal mittendrin ist's dann doch kniffliger wie gedacht. Allen die es bisher geklettert haben, ging es auf jeden Fall so! Der Stand dann bei einer kleinen Grotte am Fuss des nächsten Aufschwungs.

Ausblick auf den tollen Fels, der in L7 (6b) auf den Kletterer wartet.
L8, 40m, 6b+: Herausragend schöne Steilplatten-Kletterei an vorzüglichem Fels. Die technische Schlüsselstelle folgt nach dem dritten BH: planen, hinstehen und an rau-sloprigen Seitgriffen durchziehen, es geht! Im schlimmsten Fall lässt sich auch diese letzte Crux mit Griff zum Haken entschärfen - aber wer will das schon ;-) Danach in Premium-Fels geradeaus weiter, bis es einen automatisch nach rechts drängt, dort Stand.

Kathrin unterwegs in der sehr schönen L8 (6b+). Hier fotografiert vom Top, der Autor hat dabei L8 & L9 am Stück geklettert. Das ist aber nicht zu empfehlen, 50m-Seile sind zu kurz, im letzten Abschnitt droht Seilzug, die Kommunikation ist wegen dem zurückversetzen Ausstiegsstand abgeschnitten und ein tolles Motiv für schöne Fotos verpasst man auch.
L9, 20m, 5b: Das letzte Teilstück bewältigt man gemeinsam mit Spasspartout in schöner Kletterei über Wasserrillen und einen Aufschwung. Die eigenständige Linie ganz gerade hoch wäre an seichten Wasserrillen zuerst richtig und unhomogen schwer und dann etwas unschön gewesen. Der Ausstiegsstand besteht nur aus einer (dicken) Sanduhr, Bohrhaken gibt's hier nur fürs Wandbuch, zum Sichern sind sie nicht nutzbar.

Auf den letzten Metern, gemeinsam mit Spasspartout, auch hier sehr schöne Kletterei: L9 (5b).
Der Weg zurück zum Einstieg erfolgt durch Abseilen. Vom Top reicht's mit einem 50m-Abseiler gerade zum vorletzten Stand. Nachdem man einen weiteren Stand von Zambo benützt hat, seilt man im unteren Wandteil bequemer über Spasspartout ab. Deren Kettenstände liegen so ideal, dass man diesen Part in drei gestreckten 50m-Manövern bewältigt. Falls nötig, so kommt man auch über Zambo problemlos und in gerader Linie retour zum Einstieg, jedoch ist hier ein Abseilmanöver mehr fällig. Je nach Gegenverkehr kann das aber trotzdem die zu bevorzugende Alternative sein. Während sich Kathrin vom Einstieg umgehend an den Rückmarsch machte, erledigte ich noch die Büroarbeit mit einem Eintrag im Biwakbuch. Somit ist die Route nun bereit und freigegeben für Wiederholer. Ich hoffe, ihr geniesst die Wenden-Atmosphäre und die Kletterei auch so sehr wie ich! Und denkt dran, die Bewertungen stellen einen Vorschlag dar - dieser ist nach bestem Wissen und Gewissen so objektiv wie möglich erfolgt. Wer irgendwo einen anderen Vorschlag hat, ist gerne eingeladen seine Meinung mit dem nötigen Respekt zu teilen.

Facts

Wendenstöcke - Zambo 6b+ (6a obl.) - 9 SL, 305m - M. Dettling et al. 2015
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, evtl. Camalots 0.3-0.5

Genussreiche Wenden-Kletterei in meist sehr gutem, rauem Fels mit wenig ernsthaftem Ambiente. Die technisch fordernde Steilplatten-Kletterei spielt sich homogen in Schwierigkeiten um 6a/6a+ ab. Drei kurze, knifflige Stellen geben der Route zusätzliche Würze, sind jedoch nicht obligatorisch zu klettern. Die Absicherung mit soliden Inox-Bohrhaken ist so gestaltet, dass sämtliche Schlüsselpassagen bestens abgesichert sind. An einfacheren Stellen muss wie im Gebiet üblich auch einmal etwas über die Haken gestiegen werden, es bleibt jedoch alles im grünen Bereich. In punkto Schönheit und Kletterei ist Zambo bei etwas höheren Schwierigkeiten mit der benachbarten Spasspartout vergleichbar. Eine Wenden-Kingline à la Blaue Lagune oder Caminando stellt die Route (wie alle Touren am Vorbau!) natürlich nicht dar - trotzdem ist's im Vergleich zu vielen anderen Gebieten sicherlich ein lohnender Kletterausflug.

Topo

Das komplette Topo steht als PDF-Dokument zum Download zur Verfügung. Falls irgendeine Angabe noch fehlt oder sonst etwas nicht stimmig ist, dann bitte ich um eine Mitteilung.



Support

Wer einen kleinen Beitrag an diese (oder auch vergangene und zukünftige) Routen leisten möchte, der kann das mit einem Klick auf den Button unten tun. Ein 'Buy me a Bolt' Symbol wäre zwar passender, gibt's aber leider noch nicht im Angebot ;-). Herzlichen Dank!


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Sonntag, 23. August 2015

Graue Wand - Eisbrecher (6b+)

Wenn es ums Granitklettern geht, so ist die im Becken des Tiefengletschers am Furkapass situierte Graue Wand eine der ersten Adressen in der Schweiz. Neben der klassischen Niedermann, der Conquest mit ihrem berühmten Super-Fissure und der wenig bekannten, aber schönen El Niño wollte ich nun eine weitere Tour kennenlernen. Die Wahl fiel dabei auf den Eisbrecher, einer Route von Martin Scheel, Thomas Müller und Roli Heer aus dem Jahre 1982. Im Plaisir Ost erhält diese zwar schlechte Presse nach dem Motto "zu gefährlich für Plaisirkletterer, zu langweilig für Extremkletterer", doch selber nachschauen macht immer schlauer. Und tatsächlich entpuppte sich der Eisbrecher als Weltklasse-Granittour mit steiler Kletterei an griffigen Rissen und schön strukturierten Platten sowie stimmiger Absicherung.

Die Graue Wand in Bildmitte. Der Eisbrecher verläuft mitten in der Wand zur kleinen Scharte zwischen dem Doppelgipfel.
Unsere Tour begann um 9.15 Uhr beim Parkplatz Tätsch (P.2272), den man nach löhnen einer Maut von 7 CHF pro Tag (Taxautomat, Kleingeld bereithalten!) mit dem Auto anfahren darf. An einem weiteren, wunderschönen Sommertag zogen wir die sehenswerte Landschaft geniessend bis unter die Albert-Heim-Hütte hinauf. Beim kleinen See unter der Hütte (P.2480) muss man sich auf dem Pfad etablieren, welcher auf der für die Wasserleitung gebauten Mauer gegen das Gletschhorn zieht. Bis über die Steilstufe auf 2600m hinauf gibt es noch Wegspuren, danach betritt man Firn oder ewiges Eis. Alternativ kann man sich auch ans Geröll rechterhand halten. Um zum Eisbrecher zu gelangen, muss dann die steile Schneezunge gegen das Zentrum der Wand hinaufgestiegen werden. Hier ist es steil (40-45 Grad), bei ungünstigen Verhältnissen braucht man nicht nur einen Pickel, sondern auch Steigeisen. Während wir im Schnee auf eine gute, weiche Auflage trafen, war das Gelände ab Mitte des Couloirs ausgeapert. Dort wartet unerquickliches Geröll, welches sehr rasch in Bewegung kommt. Sind hier mehrere Partien zu Gange, so ist grösste Vorsicht angebracht! Um 11.15 Uhr hatten wir den höchsten Punkt vom Couloir beim Pfeilerkopf und damit den Einstieg erreicht. Nach einer viertelstündigen Pause konnte es um 11.30 Uhr losgehen.

L1, 35m, 5c: Die eigentlich logische Einstiegsvariante wäre der gerade Riss, der zur Route Accept gehört und direkt zum ersten Stand hinauf- und in der zweiten Seillänge weiterführt. Der Einheit wegen hielt ich mich jedoch an den etwas einfacheren, originalen Eisbrecher-Einstieg, welcher in einem System von mehreren Rissen etwa 10m rechts verläuft. Die Kletterei an sich ist relativ gutmütig, Sicherungsmöglichkeiten gibt es hingegen nicht à discretion. Doch immer bevor es heikel wird, findet sich wieder ein gutes Placement. Mit vier Klemmgeräten und einem zur Accept gehörenden Bolt lässt sich dann doch guten Mutes steigen.

Schöne und fast komplett selbst abzusichernde Kletterei bereits hier in L1 (5c). Nur in der abgebildeten Linksquerung kann ein nachträglich gesetzter Bolt der kreuzenden Remy-Route Accept geklippt werden. 
L2, 35m, 6a+: Hoppala, hier geht's gleich ziemlich knackig los. Der erste BH steckt erst in 15m Höhe und der steile Fingerriss nach dem Stand will ehrlich geklettert und selber abgesichert werden. Weil am Vorabend noch ein Schauer durchgezogen ist, ist der Riss etwas feucht und glitschig. Ich verstaue zwei, drei Gerätschaften und ziehe dann in schwerer Wandkletterei durch, den rutschigen Klemmern mag ich mich nicht anvertrauen. Der obere Teil zum Stand hinauf ist dann nicht mehr ganz so schwer und mit zwei BH abgesichert, wobei der erste eher etwas hoch steckt und leicht unangenehm zum Klippen ist.

Der coole, steile Handriss von L2 (6a+) hier nicht sichtbar, im oberen Teil geht's etwas weniger steil der seichteren Rissspur entlang.
L3, 40m, 6b+: Anspruchsvolle Plattenkletterei an schön strukturiertem Fels, kein reiner Schleicher. Die Absicherung mit Bohrhaken ist hier löblich gut ausgefallen, dennoch sind die Moves zwingend zu klettern. Sicherlich kann man es sich hier auch schwerer machen wie es tatsächlich ist, den einfachsten Weg zu finden erfordert jedoch durchaus ein geübtes Auge. Nach der Hauptschwierigkeit folgt dann eine einfachere Traverse, hier war das erste Mal der sandige Strahler-Aushub (siehe unten) störend. Am Ende noch wenige Meter zum Stand hinauf.

Die erste Cruxlänge (L3, 6b+) mit ihrer einfacheren Querung am Ende. Hier auch gut sichtbar der Dreck vom Aushub der Strahler. Wer hier meint "ist ja nicht so viel, stört ja nicht" bedenke, dass der klebrige Sand genau auf allen guten Tritten und Griffen liegt, bzw. die schön griffigen Schüppchen aufgefüllt hat.
L4, 35m, 5c+: Eine problemlose Sequenz, nach meinen Dafürhalten sogar (bis auf den Ausstieg über die Niedermann) die einfachste Seillänge der ganzen Tour. Der Anfang bietet plattige Kletterei und ist mit zwei BH gut abgesichert. Danach steckt und liegt nicht mehr viel, allerdings warten auch keine schweren Moves mehr.

L5, 35m, 6a: Hier ist gleich nach dem Start ein erster Mantle zu bewältigen, und zwar noch vor eine Zwischensicherung eingehängt werden kann. Das Wändchen sieht aber schwerer aus, wie es ist. Danach klettert man eine leichte Rechtsschleife zu einem alten, nicht sanierten Ringhaken, um dann in einfacherem Cruising-Gelände zum Stand zu klettern. Wer will, kann die folgende L6 gleich noch anhängen.

L6, 15m, 6a+: Linksquerung vom Stand weg und den ersten, durch die Remy-Brüder für eine ihrer Routen hinzugefügten, tief steckenden Haken auslassen, sonst gibt's Seilzug. Der wäre in der folgenden Reibungspassage nämlich durchaus hinderlich, da man schon fein hinstehen muss. Überaus fordernd ist's aber nicht, v.a. wenn man bedenkt, dass diese Stelle im Scheel-Originaltopo mit 7+ bewertet war - bestimmt jedoch noch ohne Stealth-Gummi.

Das ist die feingriffige Reibungsstelle am Ende von L6 (6a+), wir hängten diese gleich noch an L5 an - geht prima.
L7, 35m, 6b: Nun ist man in der steilen Headwall angelangt und es wartet eine Seillänge der allerersten Güte. Vorsicht, hier nicht einen Verhauer in die A1-Bohrhakenpiste der kreuzenden Remy-Route Artilium produzieren! Um einen ersten Aufschwung geht's links herum in einen steilen, kräftigen Piazriss, der von einer henkligen Traverse nach rechts abgeschlossen wird, super! Dann einige Meter rechts bei der einfachsten Möglichkeit hochsteigen, dabei den Artilium-BH wegen Seilzug auslassen.

Tolle, steile und kühne Risskletterei in L7 (6b), ein Highlight!
L8, 35m, 6b+: Gleich nach dem Stand wartet die Vorstiegscrux der Route. Nachdem der erste BH geklippt ist, gilt es sich an feinen Seitschuppen höher zu arbeiten, die Füsse treten auf Reibung an. Über ein paar Meter bleibt es anhaltend schwer und man sieht sich einem möglicherweise harten Sturz mit Faktor >1 ausgesetzt, wirklich gefährlich ist's aber nicht. Nachdem man erst eine Schlinge ums Köpfl gelegt hat, folgen dann bei etwas einfacherer Kletterei auch zwei BH. Zuletzt dann eine anspruchsvolle Passage in die Verschneidung hinein und horizontal nach rechts raus - schade wurde der BH bei der Sanierung nicht an die rechte Wand verlegt.

Nach einem anspruchsvollen, kühnen Start wartet am Ende von L8 (6b+) noch eine bouldrige Verschneidungsstelle.
L9, 30m, 6a: Auf den ersten Metern werden gleich steile, aber super griffige Risse geboten, die willig Cams aufnehmen. Nachdem man nach etwa 8m einen BH zur Orientierung geklippt hat, geht es geradeaus in anhaltender, komplett selbst abzusichernder Risskletterei weiter, absolutement génial! Achtung, Verhauergefahr nach links in die Artilium, wo zwar zwei BH stecken, die Absicherung aber anscheinend schlecht ist. Erst nachdem man alles geradeaus dem Riss entlang auf ein Band mit einer ausgebeuteten Kristallkluft gelangt (Köpfl für Nachsteiger nicht vergessen) quert man an der Höhle vorbei nach links und zuletzt ein paar Meter aufwärts zum Stand.

L10, 40m, 6a: Eine weitere Hammer-Seillänge an steilen, selber abzusichernden Rissen komplett ohne fixes Material, den in der Mitte gut sichtbaren Remy-Bohrhaken lässt man gescheiter links liegen. Vor allem der Mittelteil ist hier allererste Sahne, beim kräftigen Rissüberhang kann man die Schlüsselstelle perfekt mit einem 0.4er Cam absichern und durchziehen, bald danach kommen im Riss wieder Schubladen-Griffe der allerersten Güteklasse. Von solchen Seillängen träumt man danach noch lange!

Hammergeniale, steile und komplett cleane Risskletterei in L10 (6a).
L11, 40m, 5c+: In gemässigter Kletterei hinauf, bis wieder einmal ein BH geklippt werden kann. Die folgende Stelle wird etwas rechtsrum geklettert, und nach einem weiteren BH beginnt bald das grosse Rätselraten. Es gibt 3 mögliche Varianten, nämlich a) den Graspolster-Riss links, b) die steile Rissverschneidung gerade hinauf oder c) eine Querung rechts ums Türmli und die Rampe hinauf. Obwohl ich 3 Topos dabei habe bleibt völlig unklar, welches der korrekte Weg ist. Wahrscheinlich gehen jedoch alle, ich habe mich schliesslich für a) entschieden, da ich den Stand links vermutete. Er ist aber gerade oben, und aus allen Varianten gut erreichbar.

Point of Decision in L11 (5c+). Links der Klettererin Variante b) in der Rissverschneidung, rechts a), der Graspolster-Riss.
L12, 40m, 5a: Mit einer einfachen Traverse von wenigen Metern erreicht man die Niedermann-Führe, welcher man über zwei weitere BH nach rechts hinauf folgt. Dann ist der Grat erreicht, welchem man hintenrum (d.h. nordseitig) leicht zum Gipfel (P.3172) der Grauen Wand folgt.

Am Top der Grauen Wand, hinten erst das Gletschhorn (3305m), dann der Galenstock (3583m).
Die durchgehend steile, anspruchsvolle und über weite Strecken selber abzusichernde Kletterei hatte durchaus Zeit in Anspruch genommen. Die Uhr war bereits auf 17.45 Uhr vorgerückt, somit hatte uns die Route 6:15 Stunden beschäftigt. Weil zudem in Richtung Grimsel auch noch ein hochaufgeschossener Giftpilz am Himmel thronte, machten wir uns sogleich an die Abseilfahrt. Bereits nach zwei Teilstücken liess sich dann das Rätsel der über die ganzen Wand gespannten Fixseile lösen. Während ich erst einen Zusammenhang mit der Sanierung der Remy-Route Kalypso vermutete, zeigte sich, dass die aufwendige Einrichtung von Strahlern vorgenommen wurde. Ganz offensichtlich waren diese im oberen Wandteil mit dem Ausbeuten einer Kluft beschäftigt. 

Grundsätzlich gönne ich ja jedem Tierchen sein Plaisirchen und bin gegen grundsätzliche Einschränkungen und für Freiheit in den Bergen. Hier allerdings stelle ich mir schon die Frage, ob es statthaft und sinnvoll ist, eine Fixseilpiste in einem vielbesuchten Klettersektor einzurichten. Die Seile interferieren mit den Routen Accept, Eisbrecher, Kalypso, Niedermann sowie auch der Abseilpiste. Damit nicht genug, um die Fixseile zu befestigen wurden sogar ein paar zusätzliche Bohrhaken hinzugefügt. Noch viel störender ist jedoch aktuell der Punkt, dass der Aushub in der Menge von 2-3 Kleintransportern, einfach über die Wand hinuntergekippt wurde. Beim Eisbrecher waren wir zum Glück nur auf 1.5 Seillängen betroffen, doch die Route Kalypso dürfte aktuell wenig geniessbar sein. Der sandig-feuchte Dreck bleibt dabei auf jedem etwas mehr der Horizontale zugeneigten Griff oder Tritt kleben und füllt alle Schuppen auf - bestimmt wird er auch nicht mit dem ersten Regen einfach weggewaschen.

Beschädigter Stand der Abseilpiste. Wenig erstaunlich, wenn oberhalb ganz Klüfte ausgehoben werden.
Nun denn, wir seilten weiter ab. Bereits beim Zustieg hatte ich festgestellt, dass in der Einstiegslänge der Kalypso neue Bohrhaken stecken. Da sich diese Route durchaus auf meiner Projektliste befindet, inspizierte ich beim Abseilen die Änderungen genau. Was ich sah, rief bei mir aber schon einige Fragezeichen hervor! Bei der angeblichen "Sanierung" durch die Erstbegeher wurde nicht etwa das alte Material ersetzt. Nein, an allen schweren Stellen, wo schon früher BH steckten, klettert man weiterhin am 30-jährigen Material, selbst an den Ständen hat's wohl keine neuen Haken. Was wurde dann überhaupt getan? An einfacheren oder früher selbst abzusichernden Stellen wurden zusätzliche Bolts gesetzt. Wie nötig oder sinnvoll diese sind, kann ich ohne die Route zu klettern natürlich nicht beurteilen. Gemäss dem Bericht von meinem Kletterkollegen Hans, der die auf gleiche Weise "aufgebesserte" Conquest geklettert hat, sind Nutzen und Sinn von diesen Zusatzhaken jedoch eher anzuzweifeln.

Der ganzen Sache den Deckel auf setzt jedoch die Tatsache, dass die Brüder hier im Urgestein tatsächlich weiterhin entweder komplett verzinkte Ware oder dann die wegen galvanischer Korrosion noch kurzlebigere Variante mit verzinkten Ankern und rostfreien Plättli einsetzen. Dieser Sachverhalt sollte inzwischen wirklich jedem bekannt sein, der eine Bohrmaschine besitzt. Bei selbsternannten Erschliesser-Profis sollte man das erst recht erwarten können. Aber naja, mit einem solchen Pfusch demaskiert man sich ja in erster Linie selber. Um diese etwas ernüchternden Erkenntnisse reicher standen wir um 19.00 Uhr wieder am Wandfuss. Die Bergschuhe wurden wieder geschnürt und der vorsichtige Abstieg durch steinschlägige Couloir und das mit schmierig-aufgeweichtem Schnee bestückte Firnfeld konnte beginnen - Steine kommen hier wie erwähnt rasch ins Rollen und ein Rutscher im Schnee könnte schmerzhaft enden. Nach diesem Teilstück konnte die Anspannung jedoch abfallen, und die Wanderung retour zum Tätsch bei schöner Abendstimmung war nur noch purer Genuss.

Tolle Abendstimmung auf dem Rückweg mit Blick aufs Skitourengebiet von Lucendro, Stotzigen Firsten, Rotondo und Stotzig Muttenhorn.
Facts

Graue Wand - Eisbrecher 6b+ (6b obl.) - 12 SL, 420m - Scheel/Heer/Müller 1982 - *****;x(xx)
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-2 plus 1 kleinerer, evtl. Keile

Für mich ist der Eisbrecher eine Weltklasse-Granittour mit viel Abwechslung in bestem Gestein, das fast komplett frei von Gras und Flechten ist. Mir hat die Route sogar noch besser gefallen wie andere hochgelobte Granittouren der Zentralschweiz (z.B. Motörhead, Via Hammerbruch, Conquest). Nach meines bisherigen Erfahrungen bezeichne ich sie gerne als beste ihres Genres in der Region, meines Erachtens kann sie sogar mit den Touren im Mont-Blanc-Gebiet mithalten. Obwohl die Maximalbewertung von 6b+ passt und somit ganz schwere Kletterstellen fehlen, so stellt die Route doch einen recht hohen Anspruch. Einen Hinweis darauf erhält man vielleicht, wenn man die Originaltopos von Martin Scheel zu Supertramp und Eisbrecher vergleicht - da gibt es von den nominell angegebenen Schwierigkeiten her keinen grossen Unterschied. Die Absicherung der Route kann man als gut bezeichnen, wobei teils aber wie im Text erwähnt ganze Seillängen mit Klemmgeräten auszustatten sind. Überall wo nötig stecken jedoch solide Inox-Bohrhaken, überhaupt erachte ich die von Dani Luthiger, Franz Zürcher und Stefan Helfenstein ausgeführte Sanierung als sehr professionell. Im Vergleich zum Originalzustand wurden (in Absprache mit den Erstbegehern) nur 2 zusätzliche fixe Sicherungen gesetzt, welche vormals echt gefährliche Stellen entschärft haben. Zu erwähnen ist auch noch, dass man mit Cams und dem Auge diese zu legen auf eine solide xxx-Absicherung kommt. Ganz nach Belieben und à discretion kann man jedoch meistens nicht selber absichern. Die Schuppen und Risse sind an manchen Stellen "flared" und nehmen daher nicht überall zuverlässige mobile Sicherungen auf. Somit ist der Eisbrecher definitiv keine Plaisirroute, für alle die sich mehr zutrauen, ist's aber definitiv eine sehr lohnende und auch sichere Tour!

Topo

Neben dem nicht mehr ganz aktuellen Originaltopo von Martin Scheel gab es im Plaisir Ost von 2007 ein Topo. Allerdings sind dort die Sicherungssymbole teilweise fehlerhaft und teilweise gar nicht vorhanden, ebenso ist die Linienführung stark generalisiert. Im neusten Plaisir Ost wird der Eisbrecher nicht mehr beschrieben, im Extrem Ost hingegen schon - allerdings komplett ohne Sicherungssymbole mit einem Topo, welches die Linienführung nur sehr rudimentär zeigt und auch die teils kreuzenden Remy-Routen nicht enthält. Langer Rede kurzer Sinn: diese geniale Route hat ein adäquates, detailliertes Up-to-Date-Topo verdient, hier steht es zum Download zur Verfügung. Eine ebenfalls sehr gute Alternative stellt das Topo im Kletterführer Alpen, Band I von Topoguide dar. Es ist auch als Einzelstück käuflich erwerbbar.


Sonntag, 16. August 2015

Schijenflue / Scheienfluh - Westverschneidung (7a bzw. VI A2)

Die Führe durch die imposante und glatte Scheienwand hoch über dem Partnunsee ist ein Meisterwerk von Peter Diener und Max Niedermann aus dem Jahr 1957. Sie galt lange Zeit als schwierigste Route in der Ostschweiz und erheischt auch heute noch gehörigen Respekt. Mittels einer Reihe von anspruchsvollen Rissen, welche die glatte Marmorwand durchziehen, erreicht man die steile Verschneidung, welche die ganze Wand durchzieht. Während man sich früher über weite Strecken an Normalhaken und Holzkeilen bediente, wurde die Route anscheinend in den 1980er-Jahren nach einem Konkurrenzkampf zwischen mehreren Seilschaften rotpunkt begangen. Details zu dieser ersten freien Begehung sind jedoch nur wenige bekannt. Es wäre schön, wenn sich diese Geheimnisse lüften liessen (siehe Kommentare).

Die Schijenflue Westwand mit dem Verlauf der klassischen Westverschneidung.
Auch heute noch stellt die Route ein sehr lohnendes Kletterziel von dolomitischem Ausmass dar. Weil sie zudem Teil der 100-Touren-Sammelserie von Walter Pauses "Im extremen Fels" ist, verirren sich jedes Jahr im Schnitt etwa 5 Seilschaften hierhin. Meinereiner hatte ich diese Wand und Route schon lange auf dem Radar. Die Realisierung scheiterte lange an der fehlenden Sanierung des oberen Wandteils, der häufig massiv aus den Rissen drückenden Nässe die eine Begehung nur nach Trockenperioden sinnvoll macht, der schattigen Lage auf 2500m die hochsommerliche Temperaturen erfordert und einem Kletterpartner der gewillt war, dieses anspruchsvolle Husarenstück mit seiner klassischen Kletterei anzugreifen.

Umso dankbarer war ich daher für die Anfrage von Tobias. Auch wenn ich noch mit dem Verdauen meiner Süpervitamin-Injektion beschäftigt war, so wollte ich mich hier nicht lumpen lassen. Zumal hier mit einer 7a, zwei 6c und ein paar einfacheren Längen auf dem Papier keine übergrossen Herausforderungen warteten. So wurde der Wecker wieder früh gestellt, so dass wir um  7.10 Uhr vom P6 ob Sankt Antönien (bei Äbi, ca. 1600m, 6 CHF/Tag) starten konnten. Unser Marsch führte am Gasthaus Alpenrösli vorbei zum Partnunsee. An dessen Beginn stiegen wir weglos über Wiesen, Alpenrosenstauden und Geröll mehr oder weniger in Falllinie gegen die Wand hinauf. Das Gelände ist an sich gut begehbar, doch wir trafen weiter oben auf einen von weiter hinten (am Partnunsee) kommenden und zum Schijenzahn führenden Pfad, womöglich lohnt es sich auch, dessen Beginn zu suchen. Um 8.45 Uhr waren wir nach einer viertelstündigen Pause am Einstieg schliesslich bereit und stiegen ein.

Bald geht's los. Die Rissreihe zieht vom linken Bildrand diagonal nach rechts oben.
L1, 25m, 5c: Während früher von links her (heikel) über eine grasige Rampe eingestiegen wurde, verfolgt man seit der Sanierung den Riss direkt von unten. Die Felsqualität ist hier nicht überragend, jedoch genügend fest um sicher klettern zu können. Die steilen Risse im oberen Teil erfordern das erste Mal ein herzhaftes Zupacken (eher 6a).

Auftakt in L1 (5c), bereits steile und anspruchsvolle Kletterei. Der schuppige Fels teils auch nicht über jeden Zweifel erhaben.
L2, 35m, 6c: Nun folgt bereits eine der nominell schwersten Passagen und schon vom Stand aus lässt sich erkennen, was es geschlagen hat. Eine überhängende Verschneidung mit glatter Seitenwand und einem parallelen Riss im Grund will erklettert werden. Der Riss startet mit Faustbreite und wird dann weiter. Ich gebe meine Ambitionen bald auf und bediene mich der 3 nahe steckenden BH, welche etwas rechts aussen stecken. Wer freiklettern will, sichert hier besser mit grossen Cams direkt im Riss, ansonsten ist der wichtige dritte BH nämlich kaum einzuhängen und der Seilverlauf stört bei der Kletterei. Der Rest der Seillänge bietet dann nicht mehr ganz so schwere, jedoch weiterhin anspruchsvolle Kletterei. Es steckt nach der Anfangscrux dann auch nur noch 1 BH, so dass selber abgesichert werden will.

Schwere Kletterstelle hier am Anfang von L2 (6c). Irgendwie sieht's auf dem Foto gar nicht so schlimm aus, aber hier durchzusteigen ist nicht trivial. In dieser Spreizposition geht's meines Erachtens nicht, wenn dann muss direkt im Riss gejamt werden (Hände tapen empfehlenswert). Zudem braucht's dann grosse Friends, um im Riss zu sichern, da man während dem Jamming die Bolts nicht einhängen kann. Die linke Seitenwand ist total glatt, die rechte offeriert leider auch keine wirklich nutzbaren Griffe.
Im oberen Teil von L2 (6c) folgt weiterhin anspruchsvolle Risskletterei, die grösstenteils selber abzusichern ist.
L3, 30m, 5c: Ja gell, eine 5c, da könnte man meinen das sei rasch und billig erledigt. Sie entpuppt sich jedoch als anspruchsvolle, etwas rampfige Kletterei an einem breiten, v-förmigen Riss, der durchaus ziemlich Engagement verlangt.

So sieht L3 (5c) von unten aus, aus dieser Perspektive kaum zu sagen, wie schwer/mühsam die Länge ist...
...aufgrund von diesem Bild lässt sich hingegen erahnen, dass der Autor auch schon einfachere 5c-Längen geklettert hat. Gut zu sehen auf diesem Bild, dass die glatten Seitenwände hier keine Griffe hergeben, die äusseren Kanten vom Riss rund sind und man sich deshalb in einer Mischung von menschlichem Klemmkeil und Raupe nach oben arbeitet.
L4, 45m, 4a: Der Riss verläuft nun nicht mehr so steil aufwärts, sondern zieht mehr horizontal nach rechts und weitet sich zu einer Art Band. Die Felsqualität ist hier nicht berauschend, es hat doch einiges an losem Material. Fixe Sicherungen stecken keine und selber Absichern geht auch nicht perfekt, sicheres Klettern ist Pflicht. Der Stand auf dem Pfeilerkopf für einmal nicht an einem Muniring, sondern an den Expansionsankern die zur Route Kaiserschnitt gehören.

L4 ist zwar nur mit 4a bewertet, aber auch nicht ganz einfach...
...im oberen Teil wartet dann klassisch-alpines Gelände.
L5, 35m, 6b: Mit einem einfachen Quergang geht's rechts um die Ecke und man bekommt endlich die grosse Verschneidung in Sicht. Hat man diese nach einer weiteren, etwas flechtig-dreckigen Traverse erreicht, wartet gleich eine anspruchsvolle Freikletterstelle. Die linke Wand ist wie so oft ziemlich glatt, rechts ist's dafür etwas splittrig und besonders griffig auch nicht - schwer für den Grad!

Vom Pfeilerkopf führt ein Quergang in die grosse Verschneidung hinein. Der erste Teil von L5 (6b) ist gutmütig und schön...
...danach folgt die flechtig-dreckige Traverse, und unmittelbar darauf eine schwere Kletterstelle (im Vordergrund zu erahnen).
L6, 35m, 6c: Ziemlich kompromisslose, steile und anhaltende Verschneidungskletterei. Die Crux nach etwa einem Drittel der Seillänge - glatter, trittarmer Fels, schlechte Griffe, komplexe Moves. Die vier BH stecken hier gefühlt recht weit auseinander, dazwischen gibt's noch alte Rosthaken und zwei, drei Gelegenheiten um selber zu legen. Für 6c auch eher hart.

Anspruchsvolle Verschneidungskletterei im glatten Marmorfels von L6 (6c).
Detail aus L6 (6c). Selten mal ein BH, ein paar alte Gurken im Riss, marmoriert-glatte Seitenwand, steile Kletterei.
Das letzte Teilstück in L6 (6c) dann etwas einfacher, dafür mit vielen orangen Flechten überzogen.
L7, 30m, 5b: Hier erreicht man eine kurze, nicht ganz so steile Zone der Verschneidung. Die Länge bietet einen herbalpinen, grasigen Auftakt und danach für einmal wirklich nicht allzu schwere Kletterei mit weiteren Gras-Intermezzi zu einem Podest, das einen tollen Blick auf die Cruxlänge erlaubt.

Der grasige Auftakt von L7 (5b) ist gemeistert, danach folgt schöne Kletterei...
...und am Ende gibt's nochmals eine knifflige Stelle in der Verschneidung.
L8, 25m, 7a: Mit Freude stellten wir fest, dass der grosse Verschneidungsüberhang auf den ersten Blick ziemlich trocken schien. Wobei sich schliesslich zeigte, dass die Stelle eben halt nur ziemlich trocken war, denn in ihrem Grund war die Verschneidung weiterhin feucht bis nass und auch reichlich schmierig. Im ersten Teil stört das durchaus, sind doch Klemmer und Piazmoves am Riss durchzuführen. Aber wir sollten nicht klagen, nachdem der Sommer 2015 nun wirklich sehr heiss und trocken war, ist es wohl beinahe illusorisch, hier auf perfekt trockene Verhältnisse zu hoffen. Meine Aspirationen für eine Onsight-Begehung wollte ich deswegen jedoch nicht vorschnell aufgeben und tatsächlich gelang es mir, in sauberem Stil bis in den inneren Dachwinkel hinaufzukommen. Dort kam meine Begehung aber dann ins Stocken. Erst sind einige Kaminmoves zwingend, um dann auf Gegendruck am Riss im Dachgrund nach links hinaus zu queren. Leider stecken hier die BH sehr tief unten, bei den Kaminmoves ist nicht klar, auf welche Seite man sich am besten dreht und wodurch man das Seil führt. Auch hat man sich zu entscheiden, ob man die BH einhängen will oder das alte Gelump im Riss unter dem Dach. Ersteres ist natürlich sicherer, zweiteres dagegen für die Psyche, Seilführung und Kletterei viel angenehmer. Schliesslich läuft es darauf hinaus, dass ich an den BH sichere und die im alten Material eingehängten Exen als Griffe benutze. In der Not frisst der Teufel Fliegen und säuft Weihwasser... Am Ende vom Dach, dort wo der Riss wieder mehr gerade hinaufführt, lässt sich diese Strategie jedoch nicht mehr fortsetzen. Altes Material hat es nämlich plötzlich keines mehr, ob diese Stelle wohl freigestürzt wurde? Klar ist jedenfalls, dass die 4m zum nächsten BH nun ehrlich und zwingend freigeklettert sein wollen. Es sind knackige Moves, mindestens 6b oder eher sogar 6c ist obligatorisch und vor allem steckt auch der BH danach eher hoch und ist mühsam zu klippen. Nachdem das gemeistert ist, warten noch einige steile, aber etwas einfachere Moves, bevor es nach rechts raus zu Stand auf einem schmalen Band in sehr luftiger Position über dem Überhang geht. Wir können uns ins Wandbuch eintragen und notieren die 370. Begehung von diesem Testpiece. Ob diese Seillänge mit 7a korrekt bewertet ist, vermag ist nicht wirklich zu sagen - auf jeden Fall hat sie meine Onsight-Fähigkeiten überstiegen, was bei normalen Sportkletter-7a's jetzt eher selten passiert. Aber es ist halt auch keine normale Sportkletter-Seillänge...

Schon zu Beginn von L8 (7a) wartet anspruchsvolle Kletterei, die Crux folgt dann oben am Überhang.
Luftige, psychisch anspruchsvolle Kletterei. Hier im Teilstück, wo kein altes Material steckt und zwingend geklettert werden muss. 
Ziemlich trocken... der alte Holzkeil mit vermoderter Schlinge hilft wenn nötig über die Stelle hinweg.
L9, 20m, 5c: Steile und schöne Risskletterei, für einmal entsprechen die angetroffenen Schwierigkeiten in etwa dem, was auf dem Papier steht. Es geht übrigens dem rechten Sekundärriss entlang, nicht dem Hauptriss im Grunde der Verschneidung. Der Stand dann sehr luftig auf einem Sitzpodest, der Blick geht frei hinunter bis zum Wandfuss.

Tobias sichert am Stand nach L9 (5c), nachher geht's links in der steilen Verschneidung weiter.
Luftiger Sitz nach L9 (5c), von hier geht's frei bis zum Wandfuss hinunter.
L10, 25m, 6b: Steile, sehr athletische Seillänge an grossgriffigen Schuppen und Rissen. Schon der Anfang verlangt den Griff in die Trickkiste, mit einem Heelhook geht's deutlich am einfachsten, auch noch speziell in einer Route von 1957. Pumpig ist es, doch ich kämpfe mich durch, um diese Seillänge sauber freiklettern zu können. Doch am Abschlussüberhang  scheitert dies: es ist steil, kleingriffig, sehr athletisch. Mit 2x Exe in den dort steckenden NH als Griff benutzt, passt's für mich etwa mit 6b - freigeklettern kann man das definitiv nicht in diesem Grad.

Tobias kämpft sich die überhängende Verschneidung von L10 (6b) hinauf.
L11, 20m, 4a: Am Ende der vorangehenden Seillänge überwindet man den Abschlussüberhang und erreicht eine schöne Wasserrillen-Platte. Hier wird man sich bewusst, dass der Gipfel nicht mehr weit entfernt ist. Das trifft dann auch zu, im schönsten Fels der gesamten Routen steigt man genussvoll zum Ausstiegsstand am Rand vom flachen Gipfelplateau, zum Steinmann am Top sind es nur wenige Meter.

Die letzten 20m bieten Wasserrillenkletterei in perfektem Fels. Der Rest vom rauhen, strukturierten Fels liegt hingegen am Wandfuss, d.h. ist vor langer mit einem Bergsturz verloren gegangen. Daher klettert man in L1-L10 auf dem marmorierten Gestein, welches früher im Bergesinneren lag.
Um 13.15 Uhr nach 4:30 Stunden in der Wand hatten wir es geschafft. Das war nun eine echt fordernde Tour gewesen, ja grossartiges Kino. Ich für meinen Teil hatte die Route doch etwas unterschätzt. Eine 7a und ein paar einfachere Seillängen, 1957 erstbegangen, das sollte wohl im Angesicht der jüngst gekletterten Routen eine machbare Aufgabe darstellen. Doch mit der ungewohnten Kletterei und den eher tiefgestapelten Freikletterbewertungen musste dann bald einmal in den Modus von klassischer Alpinkletterei umgestellt werden. Doch auch so war die Route eine interessante Herausforderung - die Erstbegeher hatten hier wirklich grossen Mut und Kühnheit bewiesen, sich mit dem damaligen Material in eine solche steile Linie zu wagen erforderte grosse Bereitschaft. 

Blick vom Stand nach L11 auf den Gipfelsteinmann, der nur wenige Meter entfernt ist.
Perspektive aus der Gegenrichtung, hier oben wäre beinahe Platz für ein Fussballspiel...
Nach einer bequemen Zmittags-Rast auf der flachen Gipfelwiese liefen wir dann talwärts. Dazu steigt man erst in teilweise leichter Kletterei über die Südflanke der Schijenflue ab, bis man den Grassattel vor dem südlichen Nebengipfel erreicht. Hier hat man einen tollen Einblick in den oberen Wandteil. Vom Sattel wendet man sich dann gegen Osten und steigt auf Wegspuren in die weite Ebene beim Plasseggenpass ab. Ein Stück weit wandert man exakt auf der Grenze zwischen dem Rätikon-Kalk und dem Urgestein der Silvretta-Gruppe und auch sonst ist es eine malerische Gegend, die Wanderung ist wirklich genussvoll. Nach der Ebene geht's dann eine steile Kehle hinunter, am Klettergarten der Wäberlisch Höhli vorbei zurück an den Rand von Partnun. Nach 1:20 Stunden ab dem Gipfel treffen wir ein paar Minuten nach 15.00 beim Parkplatz in Äbi ein und der Kreis schliesst sich. Ich bin ziemlich platt, das Abenteuer mit meiner 14. Pausetour und die Efforts in der Süpervitamin machen sich bemerkbar.

Schöne, weite Gegend beim Plasseggenpass.
Sicht auf die Sulzfluh (links) und das Karstgelände der Schijenflue-Ostseite (rechts).
Facts

Schijenflue - Westverschneidung 7a oder 6b+ A0 (6b+ obl.) - 11 SL, 325m - Diener/Niedermann 1957 - ***;xx(x)
Material: 1x50m-Seil, 14 Express, Camalots 0.3-2, Keile nicht nötig

Eindrückliche, sehr steile Kletterei von dolomitischem Zuschnitt, bei der Risse und Verschneidungen dominieren und Wandkletterei eher selten auftritt. Der Fels ist meistens fest, oft jedoch ziemlich glatt, manchmal auch splittrig oder flechtenbewachsen und daher selten wirklich schön. Grundsätzlich ist die Route aber auch nach heutiger Vorstellung ohne grössere Gefahrenmomente begehbar. Will man die Tour komplett in freier Kletterei gehen, so muss man schon einiges an Können aufbringen. Die offiziellen, auch hier angegebenen Freikletterbewertungen dünkten mich doch arg tiefgestapelt, zudem handelt es sich um für die heutige Generation sehr ungewohnte und oft auch etwas unangenehme Kletterei. Die Absicherung kann man als gut bezeichnen. Mit Muniringen sanierte Stände und jeweils ein paar wenige BH pro Seillänge sorgen dafür, dass Seilschaftsabstürze und gefährliche Flüge mit langen Ausnagelaktionen nicht möglich sind. Als zu üppig empfand ich die Sanierung keineswegs, auch im unteren Wandteil nicht. Klar, am Anfang von L2 wäre es auch mit weniger als den 3 BH gegangen, ansonsten stecken die Bolts im unteren Teil aber nicht wesentlich dichter wie oben. Für eine komplett technische Begehung, wo der sechste Freiklettergrad nicht überstiegen wird, steckt inzwischen stellenweise eher zu wenig Material. Da müsste man dann teilweise schon arg in die Trickkiste greifen oder Hammer und Haken mitführen. Als realistischere Anforderung würde ich da schon 6b+ A0 angeben, wobei wie im Text erwähnt ein Teilstück in diesem Grad dann zwingend zu klettern ist. Ebenfalls zu beachten: ein Rückzug aus der Tour ist eher schwierig.

Die Geschichte der Route, erstbegangen durch die Spitzeleute der damaligen Schweizer Alpinklettergeneration.
Topo

Anstiegsskizzen finden sich im alten SAC-Führer Rätikon von Vital Eggenberger, hier ist noch der Zustand vor der Sanierung und die klassischen Bewertungen angegeben. Im neuen SAC-Führer Graubünden ist die Route ebenfalls aufgeführt, hier leider ohne Symbole für die Zwischensicherungen und mit eher generalisierter Linie. Ein weiteres Topo findet sich im Panico-Führer Rätikon Süd. Langer Rede kurzer Sinn, ich habe ebenfalls ein Topo angefertigt. Es steht zum Download zur Verfügung: klick!